Customer Experience in der Versicherung: 3 Handlungsfelder
„Welches Unternehmen würden Sie Ihren Freunden weiterempfehlen?“ Kaum jemand wird als Antwort auf diese Frage ein Versicherungsunternehmen nennen. Obwohl sie unverzichtbar sind – jeder hat und braucht sie –, schließt praktisch niemand gerne eine Versicherung ab.
Zusätzlich haben es die Anbieter den Kunden oft durch komplizierte, bürokratische Abläufe schwergemacht. Lange war das kein großes Problem: Die Kunden hatten wenig Alternativen. Doch seit einigen Jahren wird der Wettbewerb härter, branchenfremde Anbieter drängen in den Markt und greifen die etablierten Versicherer mit „coolen“ Apps und neuen digitalen Produkten an.
Diese müssen sich nun mit einem Thema beschäftigen, das in anderen Branchen längst zum Alltag gehört: der Customer Experience. Deutsch: das Kundenerlebnis. Die Frage, die dahintersteht, lautet: Wie können wir unsere Kunden so begeistern, dass sie ihr Leben lang gerne bei uns Kunden sind – und nicht beim Wettbewerber?
Über die Herausforderungen und Lösungsansätze haben wir mit Ralph Günther, CEO des Versicherungsportals exali gesprochen. Der auf Selbstständige und Unternehmen spezialisierte Anbieter vertreibt seine Produkte seit der Gründung im Jahr 2008 rein digital.
Versicherungen sind unbeliebt
Als Versicherer positive Kundenerlebnisse zu schaffen, ist deutlich schwieriger als in anderen Branchen. „Keiner will per se eine Versicherung“, bringt Ralph Günther die Herausforderung auf den Punkt. Versicherungen sind ein unbeliebtes Produkt. Beim Kauf müssen sich Menschen damit auseinandersetzen, dass ihnen Schlimmes widerfahren kann – dabei kommt keine Freude auf. Selbst wenn Kunden einsehen, dass sie sich absichern müssen, möchten sie das Thema schnellstmöglich abhaken.
Zudem ist eine Versicherung, wie wir sie kennen, für Kunden in jedem Fall ein Verlust: Tritt ein Schadensfall ein, bekommen sie zwar Geld, haben aber mit den negativen Folgen des Schadens zu kämpfen. Tritt der Schadenfall nie ein, haben sie die Beiträge praktisch „umsonst“ bezahlt und bekommen gefühlt keine Gegenleistung.
Eine Versicherung hat dabei selten Gelegenheit, positive Eindrücke zu hinterlassen. Meist hat sie nur zwei größere Berührungspunkte (Touchpoints) mit Kunden: erstens bei der Beratung und beim Vertragsabschluss, und zweitens im Schadenfall, falls er eintritt. Dazwischen können Jahre liegen.
Drei Handlungsfelder für Versicherer
Aus diesen Herausforderungen ergeben sich drei kritische Handlungsfelder für Versicherungen, um ihre Customer Experience zu verbessern:
die Informationssuche und den Vertragsabschluss so schnell und bequem zu machen wie möglich (erster Touchpoint),
die Abwicklung im Schadenfall so schnell und bequem zu machen wie möglich (zweiter Touchpoint), und
zwischen diesen Ereignissen weitere, positive Touchpoints zu schaffen.
1. Informationssuche und Vertragsabschluss
An der Tatsache, dass der Abschluss einer Versicherung den meisten lästig ist, lässt sich wenig ändern. Doch die Anbieter können ihren Kunden so weit entgegenkommen, dass sie es ihnen so wenig lästig wie möglich machen: ihnen also helfen, schnell und bequem ans Ziel zu kommen. Der exali-CEO nennt vier wichtige Aufgaben in der Phase bis zum Vertragsabschluss:
Kunden für die Risiken sensibilisieren,
ihnen alle wichtigen Informationen liefern, die sie für ihre Entscheidung benötigen,
Vertrauen aufbauen, und
einen schnellen Vertragsabschluss ermöglichen.
Dafür setzt exali auf der Website auf folgende Funktionen und Inhalte:
übersichtlich zusammengestellte Informationen für spezielle Berufsgruppen; erreichbar entweder über ein Auswahlmenü oder eine Suche;
regelmäßige Blog-Artikel, die informieren, aber auch den Expertenstatus von exali untermauern;
Kundenreferenzen und -bewertungen;
digitale, leicht verständliche Antragsformulare, mit denen sich innerhalb von Minuten ein Vertrag abschließen lässt; sofortige Bestätigung und Zusendung aller Dokumente sowie der Rechnung;
eine Telefonhotline für persönliche Beratungen.
Ausführlicher Content auf der Website ist in der Recherchephase einer der Schlüssel für die Customer Experience. Bei einem sensiblen Thema wie Versicherungen muss der Content zudem einhundert-prozentig korrekt und aktuell sein. Ein weiteres Beispiel: Die Hannoversche stellt in ihren Themenwelten ausführlichen Content für verschiedene Zielgruppen zur Verfügung.
Obwohl alles immer digitaler wird, bleibt die persönliche Kommunikation wichtig. Beides schließt sich nicht aus. Doch auch am Telefon oder im Chat müssen die Erwartungen der Kunden erfüllt werden: Sie möchten sofort Antworten auf ihre Fragen und wollen nicht mehrere Tage auf eine Auskunft von der Versicherungsgesellschaft warten. Chatbots können einfache, häufige Fragen beantworten und den Kundenbetreuern dadurch mehr Zeit für intensive Beratung verschaffen.
Der Kunde sollte selbst wählen können, über welchen Kanal er sich informieren möchte – und zwar vollumfänglich, ohne zuerst seine Daten angeben zu müssen. Je besser die Inhalte für die Zielgruppe angepasst sind und unnötiges ausgeblendet wird, desto schneller kommen Interessenten zum Ziel.
Natürlich kann nicht jeder Versicherungsvertrag komplett digital kalkuliert und abgeschlossen werden. Doch jeder zusätzliche Medienbruch beeinträchtigt die Customer Experience – und die Conversion. Wer sich hier verbessern wolle, müsse bereits bei der Produktentwicklung anfangen, rät Günther. Je standardisierter die Produkte, desto leichter ließen sich später komplett digitale Prozesse einführen, wie Tarifrechner und vollautomatisierte Vertragsabschlüsse.
2. Schadenabwicklung
Wie gut eine Versicherung wirklich ist, zeigt sich im Schadensfall. Das Kundenerlebnis hängt in dieser Phase davon ab, ob die Versicherung die Kunden tatsächlich unterstützt und deren schwierige Lage erleichtert – oder ob sie sie noch verkompliziert und stressiger macht. Bei der Schadenabwicklung kommt es auf drei Werte an: Erreichbarkeit, Verbindlichkeit, Schnelligkeit.
Erreichbarkeit: Kunden sollten ihren bevorzugten Kontaktweg wählen können: Telefon, E-Mail, Chat. Der Kundenservice muss mit ausreichend Personal ausgestattet sein, um auch in Stoßzeiten verfügbar zu bleiben. Nichts nervt Kunden mehr, als lange in der Warteschlange zu hängen.
Verbindlichkeit: Die Kundenbetreuer müssen die Versicherten (oder die Anspruchsteller) kompetent beraten, schnelle Auskünfte geben und deren Probleme lösen können. Dazu müssen sie ausgebildet sein und auf alle nötigen Informationen zugreifen können. Idealerweise bekommen Kunden einen festen Ansprechpartner, der sich persönlich kümmert und verantwortlich fühlt. Dafür müssen alle beteiligten Personen abteilungsübergreifend zusammenarbeiten.
Schnelligkeit: Sowohl in der Abwicklung als auch bei der Auszahlung der Ansprüche können Kunden Tempo erwarten – schließlich haben sie dafür ihre Beiträge bezahlt. Hier helfen digitale Tools: zum Beispiel können Kunden über ihren Online-Zugang alle Angaben zu einem Schadenfall machen und Dokumente hochladen. Außerdem wird dort die gesamte (elektronische) Kommunikation protokolliert. Dadurch werden Rückfragen sowie Verzögerungen wegen fehlender Angaben und Warten auf den Postversand vermieden.
Durch verbindliche Vorgaben für Reaktions- und Bearbeitungszeiten und (teil-)automatisierte Prozesse können Versicherer sicherstellen, dass Fälle schnellstmöglich erledigt werden. Nichts macht Kunden glücklicher als wenn schon nach wenigen Tagen die Zahlung auf dem Konto eingeht.
3. Mehr positive Erlebnisse und Touchpoints schaffen
Wie schon erwähnt: zwischen Vertragsabschluss und Schaden passiert zwischen Versicherung und Kunden nicht mehr viel. Wenn sich doch in seltenen Fällen ein Kontakt ergibt, sollten Versicherungen diese Gelegenheit nutzen und durch hervorragende Customer Experience zu glänzen.
Ein solcher Anlass ist eine Stammdatenänderung, etwa der Postadresse oder der Bankverbindung. „Kunden möchten sich als Herr über ihren Vertrag fühlen“, erklärt Ralph Günther. exali bedient diesen Wunsch mit einem Self-Service-Portal, in dem Kunden alle Daten selbstständig ändern können – „auch nachts um halb eins“. Die Daten werden automatisch in alle Dokumente übernommen. Genauso können sie eine E-Mail schicken oder die Daten am Telefon durchgeben.
Zudem sollten Anbieter weitere positive Touchpoints schaffen: indem sie versuchen, Kunden regelmäßig mit einem E-Mail-Newsletter, über soziale Medien und über die eigene Website zu erreichen. Dabei können sie über neue Risiken und über Tipps zur Schadenprävention informieren.
Ein Beispiel-Use-Case: Versicherer können ihr CMS mit Live-Wetterdaten anreichern und Kampagnen passend zum Wettbericht ausspielen. Ist Sturm oder Starkregen vorhergesagt, bekommen die Nutzer Tipps angezeigt, wie sie sich und ihren Besitz schützen können. Das nützt gleich dreifach: Kunden bekommen einen echten Service, die Versicherung bringt sich positiv in Erinnerung und sie spart Geld, weil Schäden vermieden werden.
Versicherungen können auch Beratung oder Trainings in ihren Themenfeldern anbieten oder andere Services, die über die reine Versicherungsleistung hinausgehen. So bleiben sie im Leben ihrer Kunden präsent, ohne dass erst etwas Schlimmes passieren muss.
Schadenprävention durch personalisierten Content
Erfahren Sie in unserer kostenlosen Demo, wie Sie Content-Kampagnen optimal zur Vermeidung von Schäden einsetzen und welche Rolle eine Digital Experience Platform (DXP) dabei spielt.
Die Customer Experience zum Mittelpunkt machen
Wie fangen Versicherungen an, ihre Customer Experiences zu optimieren? Es gibt nicht den einen, typischen Versicherten. Wie gesagt: Der eine möchte alles schnell und digital erledigen, die andere wünscht sich persönliche Beratung. Allen alles recht zu machen, geht nicht. Ralph Günther rät Versicherungen deshalb, sich zu fragen: Wer sind unsere Kunden? Und wen möchten wir als Kunden haben? Was sind deren Bedürfnisse?
Durch eine Analyse der Customer Journeys lässt sich herausfinden: Wo haben wir aktuell Touchpoints zu Interessenten und Kunden? Welche Customer Experience bieten wir dort: Lust oder Frust? Wie können wir das Erlebnis verbessern oder sogar personalisieren?
Die Bedürfnisse und Wünsche der gewählten Zielgruppen müssen danach das Maß aller Dinge sein. Bei Entscheidungen über eine Maßnahme, einen Prozess oder ein Produkt, muss zuerst gefragt werden: Wie wirkt es sich auf die Kunden aus? Verbessert es die Customer Experience oder nicht?