B2B Customer Experience: Warum müssen Unternehmen jetzt handeln?
„Customer Experience? So was brauchen wir nicht.“ So ähnlich reagieren Manager mittelständischer B2B-Unternehmen häufig, wenn wir sie auf das Thema ansprechen. Fragt man allerdings näher nach, was sie sich für ihren Vertrieb wünschen, folgen Aussagen wie: „Die Bestellung bei uns soll so einfach sein wie bei Amazon.“
Damit sind sie praktisch mittendrin im Thema Customer Experience (CX), ohne es zu merken. Ob man den Begriff nun verwendet oder in eigenen Worten umschreibt: Die Customer Experience spielt bei jedem Geschäft eine Rolle, auch bei Geschäften zwischen Unternehmen (B2B).
Lange lebte B2B hauptsächlich vom persönlichen Kontakt und der direkten Betreuung durch den Vertrieb. Jetzt bauen die Unternehmen Online- und E-Commerce-Angebote auf und müssen sich fragen, wie sie darüber die bisher positiven Kundenerlebnisse „nachbauen“ können.
In diesem Artikel erklären wir Ihnen, warum CX so relevant ist und was B2B-Unternehmen in den ersten Schritten tun können, um sie zu verbessern. Außerdem haben wir Roland Pommer, CEO der Arvato Systems Schweiz AG, nach Tipps gefragt.
Was ist B2B Customer Experience?
„Wie einfach ist es für Ihre Kunden, mit Ihnen zusammenzuarbeiten?“ Diese Frage macht für Roland Pommer die Essenz von Customer Experience aus. Das Kundenerlebnis umfasst nicht nur einzelne Aspekte, sondern alle Touchpoints und Phasen der Customer Journey, sowohl online als auch offline. „Was nützen bis ins kleinste Detail gestaltete User Experiences auf allen digitalen Endgeräten, wenn Kunden im After Sales oder Service schlechte Erfahrungen machen“, erklärt Pommer.
Obwohl im B2B-Commerce technisch gesehen Unternehmen miteinander Geschäfte machen, bleiben es am Ende Menschen, die bei anderen Menschen einkaufen. Deshalb sind es die Erfahrungen der Entscheider – einzeln und als Gruppe –, die die B2B Customer Experience prägen.
Nähere Erklärungen, was die CX ausmacht, finden Sie in diesen Artikeln:
Was ist die B2B Customer Journey?
Die Customer Journey bezeichnet den kompletten Lebenszyklus eines (potenziellen) Kunden: Sie beginnt beim allerersten Kontakt mit einem Anbieter, etwa über einen Blogartikel oder eine Werbeanzeige. Sie geht über den Kaufprozess bis zur Zeit danach, wenn Kunden Produkte nutzen oder erneut kaufen. Alle Erfahrungen, die Unternehmenskunden während dieser gesamten Zeit machen, fließen in deren wahrgenommene Customer Experience ein.
Warum reden auf einmal alle von der B2B CX?
Lange war Customer Experience scheinbar ein reines B2C-Thema: etwa was die Benutzerfreundlichkeit von Online-Shops oder die Abwicklung von Retouren betrifft. Im B2B-Geschäft galt der persönliche Kontakt und die Betreuung durch den Vertriebsinnen- und -außendienst als Königsweg.
Digitale Angebote gab es zwar auch, doch galten diese lange nur als Ergänzung und waren wenig kundenfreundlich; im Zweifel konnte der Kunde ja anrufen und sich doch wieder persönlich beraten lassen. Je freundlicher und kompetenter die Vertriebler waren, desto besser die Customer Experience.
Seit einigen Jahren gibt es auch im B2B den Trend hin zu mehr Digitalisierung. Der B2B E-Commerce legt massiv zu; digitale Lead-Gewinnung und Vertrieb sind zur Norm geworden – und bringen ganz neue Anforderungen an die Gestaltung der CX mit sich. Zuletzt wurde diese Entwicklung primär durch zwei Faktoren beschleunigt:
Corona steigert die digitale Nutzung und die Anforderungen
Während der Coronapandemie fanden kaum Messen statt und auch Außendienstbesuche waren selten – bislang die zwei wesentlichen Marketing- und Vertriebskanäle von B2B-Unternehmen. Geschäfte werden nun per Videokonferenz abgeschlossen; oder gleich komplett im Self-Service über E-Commerce-Kanäle. Dieser Trend wird sich nicht mehr komplett umkehren.
Entscheider und Einkäufer saßen nun im Homeoffice: erst bestellten sie privat neue Jogginghosen bei Amazon, und später dann Ersatzteile für eine Maschine ihres Arbeitgebers. Sie merkten: bei letzterem Anbieter ist alles deutlich weniger komfortabel, es dauert länger und macht keinen Spaß. Ergo: Die Customer Experience ist schlecht.
Durch die starke Nutzung von digitalen Kanälen während der Pandemie sind die Erwartungen bei Online-Recherche und -Kauf enorm gestiegen. Menschen unterscheiden dabei nicht zwischen privatem und beruflichem Kontext. „Der B2B-Kunde erwartet ein Kundenerlebnis, wie er es vom B2C-Shop kennt“, weiß Roland Pommer.
Digitale Natives besetzen viele Entscheiderpositionen
Ein weiterer Faktor, der die Erwartungen an die B2B Customer Experience treibt, ist die demografische Entwicklung. Die Vertreter der sogenannten Millennial-Generation (Generation Y) sind mittlerweile 30 Jahre und älter, und besetzen Führungspositionen in vielen Unternehmen. Sie sind als erste Generation mit Computern und Internet aufgewachsen, mit Suchmaschinen, Online-Marktplätzen und sozialen Netzwerken.
Sie sind in digitalen Fragen besonders anspruchsvoll: Einerseits wollen sie sich weitgehend digital informieren und möglichst viele Self-Service-Angebote nutzen. Andererseits müssen diese Angebote genauso bequem und schnell sein wie etwa populäre Apps. Zudem kommt ihr Wunsch nach Spaß und Erfüllung im Job: Sie möchten mit Anbietern zusammenarbeiten, die diesen Wünschen Rechnung tragen.
B2B-Unternehmen haben Nachholbedarf in Sachen Customer Experience
So relevant das Thema ist, so hintendran sind viele B2B-Unternehmen bei der Umsetzung: Beim Customer Experience Management stecken sie noch in den Anfängen.
Für 90 Prozent aller Führungskräfte im B2B-Umfeld sei die CX ein essenzieller Faktor, um die strategischen Prioritäten ihres Unternehmens zu erreichen; das ergab eine Studie der Unternehmensberatung Accenture. Allerdings folgten erst 20 % der Unternehmen einer CX-Strategie und erzielten hervorragende Ergebnisse damit.
Ähnliche Erfahrungen hat auch der Arvato Systems Schweiz CEO Roland Pommer gemacht: „Obwohl wir schon lange von Digitalisierung sprechen, sehe ich bei vielen Unternehmen noch großen Aufholbedarf. Dabei ist oft meine größte Herausforderung, diese davon zu überzeugen, wie wichtig es ist, jetzt zu handeln. Vielfach wird das Thema völlig unterschätzt, denn es braucht meistens Jahre und nicht Monate, um solche Lösungen einzuführen und dann ständig zu verbessern.“
Welche Faktoren machen eine hervorragende B2B CX aus?
Die Customer Experience setzt sich aus unzähligen kleinen und großen Erlebnissen an den verschiedensten Touchpoints zusammen. Einige wichtige Faktoren beeinflussen alle Bereiche; B2B-Unternehmen sollten deshalb besonderen Wert darauf legen:
Omnichannel: Digitale Angebote sollten grundsätzlich auf allen Kanälen verfügbar sein, die die Zielgruppen nutzen. Alle Kanäle sollten gleichbleibend hochwertige, positive Customer Experiences bieten.
User Experience: Digitale Angebote sollten leicht zu bedienen, übersichtlich, schnell, leicht zugänglich und barrierefrei sein.
Self-Service-Angebote: Kunden möchten Informationen selbstständig abrufen oder Produkte komplett im Self-Service online bestellen können.
Content-Commerce: Umfangreiche und gut aufbereitete Produktinformationen und andere Inhalte helfen Kunden, schnelle und fundierte Kaufentscheidungen zu treffen.
Persönlicher Kontakt: Trotz E-Commerce bleibt der persönliche Kontakt im B2B-Geschäft wichtig. Persönlicher Vertrieb und Kundenservice sollten mit den digitalen Angeboten zusammenspielen und sich ergänzen.
Personalisierung: Angebote sollten auf die Bedürfnisse der Kundengruppen zugeschnitten sein, damit sich diese schnell zurechtfinden und individuell unterstützt werden können.
Schnelle und komfortable Abwicklung: Auch Zahlung, Bestellabwicklung und Lieferung gehören zur CX und sollten möglichst kundenfreundlich gestaltet werden.
Use-Case CX-Optimierung: Bestellung von Ersatzteilen
Customer-Experience-Optimierung ist ein komplexes Aufgabenfeld; sie lässt sich jedoch pragmatisch in einzelne, kleinere Schritte zerlegen. Gerade wenn B2B-Unternehmen sich erstmals mit CX beschäftigen, bieten sich an vielen Stellen Potenziale. Anhand einer einer Bestellung von technischen Teilen zeigen wir, wie die B2B Customer Experience verbessert werden kann.
Eine Bestellung im B2B funktioniert oft immer noch so: Der Anbieter stellt PDF-Ersatzteillisten mit Explosionszeichnungen bereit. Daraus muss sich der Kunde die benötigten Teile heraussuchen und die Produktnummern in ein Formular eintragen. Das Formular sendet er per E-Mail (oder gar per Fax) an den Anbieter. Dieser überträgt die Bestellung ins System…
Sie können sich das betreffende Kundenerlebnis leicht vorstellen: Die Bestellung dauert lange, ist fehleranfällig und macht keinen Spaß. Es dauert eventuell Tage, bis der Kunde die Bestellbestätigung erhält. Wie kann die CX verbessert werden?
Durchsuchbarer Online-Katalog
Statt in einer PDF-Liste wählt der Kunde die Teile in einem Online-Katalog aus: Er findet sie über die Produktnummer, über einen Barcode oder die Volltextsuche. Wenn er Teile immer wieder bestellen will, kann er eine Merkliste mit diesen Produkten anlegen.
Image-Map mit Link zu den Einzelteilen
Image-Maps waren auf Websites der 00-er-Jahre populär – und erleben gerade im B2B E-Commerce eine Renaissance. Anbieter erstellen etwa Grafiken (oder 3D-Modelle) von Maschinen, auf denen einzelne Teile zu sehen sind. Der Kunde gelangt durch einen Klick auf die jeweiligen Teile direkt zur Produktbeschreibung im Katalog. So findet der Kunde viel leichter die benötigten Teile, selbst wenn er eine Maschine noch nie mit eigenen Augen gesehen hat.
Direktbestellung statt E-Mail-Formular
Der Kunde kann seine Bestellung über ein Online-Formular absenden. Die Bestellung wird direkt im Bestellsystem des Anbieters erfasst und eine Eingangsbestätigung verschickt. Wenn möglich, wird der Lagerbestand der bestellten Teile überprüft und gleich eine Bestellbestätigung an den Kunden übermittelt.
Unternehmen müssen ihre Silos auflösen
Ein fähiger Tech-Stack ist die Basis für hervorragende B2B Customer Experiences, allen voran ein Headless CMS. „In den meisten Fällen ist ein System schnell aufgesetzt“, erzählt CEO Roland Pommer. „Die Herausforderung liegt dabei jedoch vor allem nicht bei den implementierenden Dienstleistern, sondern beim Unternehmen selber. Es muss die Daten in geeigneter Form zur Verfügung stellen. Darin liegt der Hauptanteil der Arbeit und das ist meistens auch der Grund, warum solche Projekte länger dauern als gewünscht.“
Daten sind der „Treibstoff“ für das Customer-Experience-Management. Unternehmen müssen zuerst ihre internen Datensilos auflösen, ihr Daten zusammentragen und aufbereiten. Wenn jede Abteilung auf ihren eigenen Daten sitzt, werden sie Kunden kaum einheitliche, übergreifende Customer Experiences bieten können: wenn etwa der Kundenservice nicht auf die Daten im Kundenkonto der E-Commerce-Lösung zugreifen kann.
Zudem müssen auch die Silos „in den Köpfen“ aufgelöst und von gemeinsamem, kundenzentrierten Denken abgelöst werden. E-Commerce und persönlicher Vertrieb und Kundenservice werden sich weiterhin ergänzen. „Sie dürfen nicht als Konkurrenz gesehen werden“, sagt Roland Pommer. „Zum Beispiel muss der Vertrieb an den Verkäufen über den Online-Shop partizipieren können.“
Letztenendes, macht Pommer deutlich, müsse es allen Beteiligten klar sein, dass es einzig und allein darum geht, die Kundenprobleme zu lösen. Wenn das nicht gut genug gelänge, käme irgendwann ein anderes Unternehmen oder Start-up, das es besser macht.